Interzone_CD_ROM

“Interzone” CD-ROM, Franz John, 1999/2000

Zahllose Ausstellungen, Bücher und Dokumentationen beschäftigen sich mit dem Thema »Berliner Mauer«. Bruchstückhaft geben Fotos, Mauergraffities, Objekte und Texte Zeugnis über ein Bauwerk ab, das schon jetzt, 10 Jahre nach Mauerfall, für viele »undenkbar« erscheint.

Zeitzeugen konnten wie durch eine Zeitmaschine das Verschwinden eines »Etwas« (»Energiefeldes«) beobachten, das unverrückbar zwei Denksysteme trennte und sich am liebsten mit Schweigen umhüllte. Ob im Osten oder Westen, am besten sprach man nicht davon und wenn man ES nicht sehen wollte, war ES auch nicht da.

Die Mauer als Paradoxon des kalten Krieges wurde umhüllt von einer Aura des Unbeschreiblichen, Geheimnisvollen und Beängstigenden.

Ausgangssituation (Video)
Franz John scheint der erste zu sein, der den Versuch unternommen hat, sich mit der Berliner Mauer in ihrer Gesamtheit künstlerisch auseinanderzusetzen.

Im Februar 1990, als die Grenzanlage noch kontrolliert wurde, wagte er sich die ersten Male per Fahrrad und Videokamera in den Todesstreifen, um das »unberührbare« zu erfahren. Dabei interessierte ihn nicht der Blick von West nach Ost bzw. Ost nach West, sondern das, was er als »interzone« bezeichnet, der verbotene Bereich zwischen den beiden Grenzanlagen.
Oft schaffte er zu Beginn nur wenige hundert Meter, bis er zum Verlassen des »Hoheitsgebiets« aufgefordert wurde. Später, mit brüchig werden der Mauer, erschwerten neue Grenzübergänge oder Industriezäune (z.B. Axel-Springer-Hochhaus) den Weg durch die »Zone«. Über mehrere Wochen durchfuhr Franz John die gesamte Grenzanlage und dokumentierte per Video das Gesehene bzw. Verschwindende aus der Perspektive Todesstreifen.


»Der Abbruch der Mauer ging so rasend schnell, daß selbst Fotografie und Film überfordert waren. Als wohl einziger hat es Franz John geschafft, die Mauer in ihrer Gesamtheit auf Video zu bannen.« die tageszeitung, zur Ausstellung »Fallwallfall«
Werkbundarchiv, Berlin, 1995.


CD-ROM »Interzone«
Das genannte Videomaterial ist nun Ausgangsbasis für eine CD-ROM geworden, die weit über die bloße Dokumentation einer Grenzanlage hinausreicht. Zwar gibt es noch den oben genannten »vertrauten« Weg, durch eine virtuelle Mauerumgebung, doch wie in dem Science Fiction »Picknick am Wegesrand«* kann unscheinbares oder unwichtiges, einmal berührt, irritierendes bewirken. Zeitsprünge werden ebenso möglich, wie der Besuch anderer Welten, in denen real oder imaginär »die Zone« eine
zentrale Rolle spielt.

Elemente aus Tarkowskis Filmklassiker Stalker vermischen sich mit Cut Up Texten aus Naked Lunch. Die Zonen liegen oft nur einen »soft plop« (W.S. Burroughs) voneinander entfernt. Die Grenzanlage mutiert. Die Mauer besteht aus undefinierbaren Material »plastic cement«, und kann durchdrungen werden. Amorphe Nullen und Einsen helfen auf dem Weg durch »die Zone«, doch kaum hat man sich an die neue Umgebung gewöhnt, findet man sich plötzlich in einer Videofahrt durch Geisterbahnhöfe und Tunnelanlagen unter Ostberlin wieder.


* Picknick am Wegesrand, Science Fiction Klasiker der russischen Brüder Strugatzki, 1976. Vermutlich durch Absturz eines Ufos - der Leser wird im Unklaren gelassen -, entsteht über Nacht in einer Stadt eine geheimnisvolle Zone, deren Betreten von der Regierung verboten ist und nur unter Lebensgefahr von »Schatzsuchern« überwunden werden kann. - Der Roman diente Andrej Tarkowski 1980 als Vorlage für den Film
»Stalker« -


produktion: Franz John, Berlin
animation & screendesign: Michael Ley
3-D design: Ulli Klages
konzeption, idee, art direction: Franz John

videobeiträge: Antal Lux, Gustav Hamos, Franz John u.a.
audiodesign & sounds: Mona Mur, Yref, Michael Ley, Corinna Wittke
fotos: Ilse Ruppert, Uwe Friedrich, Franz John, Takahisa Matsuura, Ralf
Gründer, u.a.

special thanks: Eku Wand, Hagen Koch (Berliner Mauerarchiv), Robert
Meunier, Ralf Gründer, Berliner Tierschutzverein Lankwitz (Hr. Wenk)

© Franz John, 1999/2000

 

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