Die Lichtmaschine
Franz John, das Licht, die Camera Obscura und der Bunker
- Vergangenheit I -
"Die Luft ist erfüllt von unendlich vielen Bildern der Dinge, die in ihr verteilt sind, und diese werden alle in allen, alle in einem und alle in jedem wiedergegeben." (Leonardo da Vinci)
Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert vollzog sich ein Wandel in der Beziehung zur Wahrnehmung der Welt, speziell zum Sehen. Das gottgegebene Sehen reichte nicht mehr aus, um die Tiefe der Welt zu erfassen. Ein verständiges Sehen trat an seine Stelle.
Der Vorgang der Wahrnehmung wurde von Fremd- auf Selbstreferenz umgestellt. Um aber diese Eigenart des Sehens zu verstehen, mußte das Sehen, wie der Gang des Lichts, wahrnehmbar, sichtbar gemacht werden. Dazu wurde das Sehen diszipliniert. Die Welt im Licht wurde im "Vetro tralucente", im "Richtscheit" und der "Camera Obscura" gefangen und vermessen. Die Camera Obscura stellte fortan das Modell des Sehens dar. Der standardisierte Blick auf eine Welt, die sich durch ein Loch zwängt, um anschließend auf dem Kopf zu stehen, setzte die dreidimensionale Wirklichkeit in Bezug zum zweidimensionalen Bild.
- Vergangenheit II -
"Die Küste-Artillerie bedarf großer Reichweite und hat daher in den letzten Jahrhunderten Kaliber bis über 40 cm entwickelt. Ihre schweren und mittleren Batterien sind unregelmäßig, getarnt, möglichst unter Panzerschutz und mit 360° Schwenkbereich aufgestellt und schießen indirekt, die leichten werden auch als Sperrbatterien und zur Fliegerabwehr verwendet." (aus einem Artillerie Handbuch)
Die Headlands in der Bucht von San Francisco beherbergten während des 19. und bis in das 20. Jahrhundert hinein mehrere Batterien der US-Küsten Artillerie. In ihren Beobachtungsbunkern blickten die Soldaten hinaus aufs Meer.
Sie legten Meßtischblätter der Artillerie an und führten Wetterbeobachtungen durch, den Blick durch Sehschlitze auf die Pazifik Nebel der San-Francisco-Bay gerichtet.
Die Angst vor dem Feind disziplinierte den militärischen Blick. Die Angst vor dem Feind ließ die Soldaten ideale Beobachtungspunkte und Schußwinkel berechnen. Die Angst vor einem Feind, der niemals kam.
- Gegenwart -
"Die in meinem Vorhaben entstehenden Photographien können (...) Aufschluß über das geben, was Generationen von Soldaten in den Bunkern wahrgenommen bzw. erlebt haben. Gleichzeitig sind diese Bilder Referenzen kollektiver Wahrnehmung, da die Blickrichtung durch die schmalen Sehschlitze der Bunker quasi standardisiert ist." (Franz John)
Aus der Küstenbatterie des "Fort Barry" ist das "Headlands Center for the Arts" geworden. Die Bunker sind verlassen. Franz John, von Mai - Juni 1996 dort "Artist in Residence", steht in einem Bunker. Der Bunker ist leer, seiner Funktion enthoben. Der Sehschlitz wird zur Linse der Camera Obscura.
Kopfunter drängt die Welt herein: die Golden Gate Bridge, der Pazifik, die Nebelbänke. Die Bilder wandern mit der Sonne über die Bunkerwand. Licht, Schatten und farbige Muster überlagern sich den Resten der militärischen Installationen, überschreiben die Graffities ziviler Bunkerbesucher und schreiben das Heute über das Gestern.
Franz John seht im Zentrum der Lichtmaschine und hält das Zeitbild mit dem Photoapparat fest, folgt mit dem Handkopierer den flüchtigen und dauerhaften Strukturen der Wand bis ein Abbild im Maßstab 1:1 entstanden ist.
Die gepanzerte Höhle aus der die "Military Eyes" nach draußen spähten wird zum magischen Ort. Nach 600 Jahren der Vermessung des Blicks kehren wir mit der vergessenen Lichtmaschine zurück zum Anfang des verständigen Sehens.
Udo Thiedeke
|